Afterlife

„After Life – jeder bitte nur eine Erinnerung“ am Theater Dortmund

Eine Kritik aus dem Westfälischen Anzeiger von Edda Breski

Man hat’s ja geahnt: Auch im Jenseits erwartet uns Bürokratie. Wir sitzen vor erhöhten Tischen, darauf Klemmbretter, Namensschilder, Wasserkocher. Ein Hauch von Durchgangshotel liegt in der Luft. Hier bitte nicht allzu lange verweilen, schließlich wartet die Ewigkeit. „After Life – jeder bitte nur eine Erinnerung“ heißt das neue Stück mit dem Dortmunder Sprechchor, eine Studioproduktion am Schauspiel Dortmund.

„Unser Beileid, Sie sind soeben verstorben“, grüßt der Chor. Hier ist das Reich von „After Life Incorporated“, ein Limbo, in dem die schon länger Toten die Frischverstorbenen in die Regeln einführen. Bevor die „Besucher“ weiterkommen, muss jeder eine einzige Erinnerung wählen. Die bleibt für die Ewigkeit, alles andere wird gelöscht. Die Idee stammt aus einem Film von Hirokazu Koreeda.

„After Life“ spricht die Ich-Bezogenheit jedes Einzelnen an: Welche Lebenserinnerung wäre unsere Schönste? Eine nagende Frage, denn: Was wählen, wenn‘s wirklich drauf ankommt? Damit geht es auch darum, wie individuell wir am Ende alle sind.

„After Life“ ist wie eine Komfortzone mit Kissen und Falltüren. Es kommt angenehm, wohlig-skurril und amüsant daher, man lacht und spürt allmählich, dass die Frage der Fragen haften bleibt wie Blütenpollen. Sie geht nicht mehr ab.

Was bleibt denn nun? Wahrscheinlich nicht viel Originelles, behauptet das Stück. Aber das ist okay. Was sind Erinnerungen anderes als Bilder, die sich die Seele zusammenstoppelt aus Film und Fernsehen, aus kollektiven Erfahrungen, aus, jawohl, Klischees.

Aus Kalendersprüchen, den beruhigenden Phrasen einer geübten Sprechstundenhilfe und poetischen Zitaten setzt sich der Text zusammen. Videos (Tobias Hoeft) untermalen die Lektion der letzten Dinge mit Sonnenblumen, Kindern auf einer Schaukel, Urlaubsaufnahmen – schön anschlussfähigen, ein bisschen austauschbaren Bildern. Der Sprechchor umgibt die Besucher im Quadrat, hier gibt’s kein Entrinnen. Die leichenweiß geschminkten Gestalten lächeln herab von ihrer, buchstäblich, höheren Warte.

Thorsten Bihegue hat einen angenehm schwebenden, kurzweiligen Abend gestaltet. Das Bittere kommt mit Zückerli. Auch im Limbo hat man Spaß, wenn auch nostalgischen. Konfetti und Luftschlangen fliegen, als das „Todestagskind“ des Tages („unsere Sabine!“) gefeiert wird. Als Leitmotiv dudeln die Carpenters „Yesterday once more“.

Das Ensemble schafft eine feine Balance zwischen Arzthelfer-Ansprache und einem Hauch Jenseitigkeit. Die Kostüme von Theresa Mielich tun ein Übriges, den Sprechchor entrückt wirken zu lassen (der Katzen-Bademantel in Glanzbildoptik ist ein Highlight). Getoppt wird das durch den Kindersprechchor, der, ausstaffiert als Kreuzung zwischen Regenbogenfee und Friedhof der Kuscheltiere, durch die Reihen hüpft und mit seinem Singsang alles noch unwirklicher macht.

 

Regie und Bühne: Thorsten Bihegue

Dramaturgie: Alexander Kerlin

Kostüme: Theresa Mielich