Dorian Gray

Dorian Gray ist der attraktivste Jüngling, den Londons Clubs zu bieten haben. Eine reizende kleine Unschuld, die Männer wie Frauen betört, auch und gerade weil sie nichts von ihrer Attraktivität weiß. Als nun der Maler Basil ein hinreißendes Portrait von Dorian anfertigt, spricht dieser – bestärkt durch den Einfluss des diabolischen Intellektuellen Lord Henry und plötzlich überwältigt von der eigenen Schönheit – einen folgenschweren Wunsch aus: Ach, wenn doch nur das Bild altern und ich selbst für immer jung bleiben könnte… Jedoch: Gib Acht Kind, wovon Du träumst. Dorians Wunsch geht in Erfüllung, entpuppt sich aber nur oberflächlich (im wahrsten Sinne des Wortes) als Segen. Sein Leben wird zu einem schrecklichen Versteckspiel. Reihenweise gehen die Menschen an der Liebe zu ihm und seiner makellosen Schönheit zugrunde, eine Liebe, die er nicht erwidern kann, während er Ablenkung und Befriedigung mit Drogen, Prostituierten, Gelagen und dekadenten Sammelleidenschaften sucht, aber nicht findet. Jede Sünde lässt sein Portrait entstellter aussehen, er versteckt es auf dem Dachboden. Eines Tages, viele Jahre später, stellt ihn der Maler Basil zur Rede und fragt nach dem Portrait. Dorian nimmt ihn mit – hinauf auf den Speicher und greift zum Messer… Oscar Wildes Klassiker ist ein meisterhafter Krimi, eine Farce, ein philosophischer Wurf – ein gnadenloser, grandios komponierter Angriff auf die doppelte Moral der englischen Salons im späten 19. Jahrhundert.
Heute, 125 Jahre später, lesen sich viele Sätze des Buches, als würden sie unserer Zeit und unserer ganz eigenen Doppelmoral gelten: Die unvergessliche Figur des Intellektuellen Lord Henry zum Beispiel würde auch heute in jeder Gesellschaft für echtes moralisches Entsetzen und geheime Faszination sorgen. Und Dorian Gray? Er verkörpert das überzeitliche Wünschen der Menschen nach Schönheit, Macht und ewigem Leben – und zugleich die dunkle, abgründige Rückseite dieses Wünschens. Der Dortmunder Sprechchor stellt sich den Fragen des Romans von Oscar Wilde. Er schlüpft in alle Rollen, gewohnt sprachgewandt, rhythmisch und musikalisch. Er zelebriert die Wilde‘schen Texte mit Emphase und Hingabe.

Persönliche Interviews mit den Chormitgliedern werden in die Handlung des Romans gewoben: Wie begegnen wir dem Älterwerden und dem gesellschaftlichen Zwang zur fortwährenden Jugendlichkeit? Welche Sünden stehen uns ins Gesicht geschrieben, und welche haben wir auf unserem Speicher vor der Welt versteckt? Wen haben wir auf dem Gewissen? Wen mussten wir „töten“, um weiter leben zu können? Welche Moralvorstellungen halten uns vom Leben ab? Was würden wir mit einem unendlichen Vorrat an Schönheit tun? Das Bildnis des Dorian Gray als philosophisches Kriminal-Stück und berührende Annäherung an hundert Menschen, die da gemeinsam auf der Bühne stehen: Dortmunder Gesichter, Geschichten und Stimmen, in die sich das Leben, sein Glück, sein Leid, einschreibt. Tag für Tag.

Regie und Dramaturgie: Thorsten Bihegue
Trailer: Mario Simon